4. - 14. Juli 2004 - Bishkek/KG - Torugart Pass/chinesische Grenze

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Fredy's Ruecken geht es besser und besser. Ich muss mich wieder auf meine Haelfte der Liegeflaeche beschraenken, denn immer laenger schlaeft er pro Nacht im gemeinsamen Bett. Als Stuetze traegt er beim Fahren auf den schlechten Strassen und beim Hantieren am Camper als Improvisation einen in Bishkek erstandenen Gewichtheber-Guertel anstelle eines hier unerhaeltlichen orthopaedischen Korsetts. Die Dosis der Schmerzmittel kann er langsam immer mehr reduzieren.
Von Mr. Ji Wensheng, unserem chinesischen Reiseorganisator, haben wir nur positive Mitteilungen erhalten. Die Bewilligungen aus Beijing liegen vor, an denen der autonomen Provinz Xinjiang arbeit er bereits und eine Einreise nach China sollte etwa ab dem 12. Juli moeglich sein.
Wir rollen am 4. Juli frohen Mutes aus der Hauptstadt Bishkek, die uns durch den langen Aufenthalt richtig traege hat werden lassen. Weder in der City noch auf den Ausfallstrassen herrscht viel Verkehr. Vereinzelte Fussgaenger warten am Strassenrand auf die heute in viel groesseren Abstaenden fahrenden Kleinbusse, die sonst mit den Trolley-Bussen zusammen die ganze rechte Spur belegen.
Die erste Teiletappe fuehrt ueber die von der Hinfahrt vor drei Wochen her bekannte Strecke, nur sind inzwischen die Kornfelder gelb und zum Teil schon gemaeht geworden. Bald nach Kara Balta beginnt die Schlucht, durch die erst der Kara Balta River uns begleitet und im zweiten Teilstueck rauscht neben der Alba Fluss der Strasse. Diesmal haben wir sonniges Wetter und der Blick zurueck vor der Passhoehe ueber einen Teil der noerdlichen Anfahrt ist beeindruckend. Der mir als tropfend und unbeleuchtet dunkel in Erinnerung gebliebene Tunnel des 3'586 m hohen Toeoe Ashuu-Pass ist trocken und viel praesentabler. Einige wenige Fahrzeuge fahren in unserer Richtung, entgegen kommt kaum ein Vehikel.

Ein schoener Blick oeffnet sich nach Sueden - man ueberblickt das ganze Suusamyr-Tal, wobei ueber den westlichen Bergen schlechtes Wetter haengt. Das holt uns dann ein, nachdem wir nach dem Verlassen der geteerten Hauptstrasse kurz vor Tunuk schon Nachtquartier bezogen haben. Es windet - Blitz und Donner, Regenschauer und im letzten Tageslicht leuchtende Regenbogen untermalen den Feierabend.
Am naechsten Tag herrscht wieder eitel Sonnenschein. Beide haben wir bei den angenehm kuehlen Temperaturen herrlich ausgeschlafen - ich habe wie meist nicht mal gehoert, als Fredy den Camper fuer seinen morgendlichen Spaziergang verlassen hat. Wir fahren erst gegen 13.ooh los und rumpeln durch kleine, verschlafene Orte wie Tunuk und spaeter Suusamyr, dessen Moschee mit den blitzenden, brandneuen Blech-Kuppeldaechern von weitem sichtbar ist. Wir durchfahren die Suusamyr-Schlucht und geniessen in vollen Zuegen die Ansicht des wilden Flusses, die vielfarbenen Haenge links und rechts von uns mit ihren Geroellhalden, im Hintergrund hohe Berge mit Schneekuppen.

Wir passieren Kyzyl Oy, stoeren die Fussgaenger, die anscheinend kaum mit Verkehr rechnen auf ihren Spaziergaengen, oder eine Bauernfrau beim Mais sortieren auf dem kurzen Teerstueck durchs Dorf. Schliesslicht oeffnet sich die Schlucht mit einer letzten grandiosen Farbpalette von Haengen und wir drehen ostwaerts, nun dem Jumgal Fluss entlang. Chaek ist groesser als wir vermutet hatten, es scheint sogar Treibstoff zu kaufen zu geben.
Nach Bayzak fahren wir auf Naturstrasse suedwaerts ins Kara Kuyu Tal. Bald haben wir wieder mal einen Opa mit spitzen Talpak-Hut und Ziegenbaertchen an Bord, der sich ueber die Mitfahrgelegenheit koeniglich freut und mit zahnlosem Mund grinst. Beim Aussteigen einige Kilometer spaeter ueberschlaegt er sich fast beim Bedanken und kuesst Fredy sogar die Haende!
Wir sind nicht die einzigen Benuetzer dieser Kiesstrasse. Die vielen Lastwagen, die Kohle vom Tagbau von Karachichi her transportieren, haben die Oberflaeche in Wellblech verwandelt. Eingefallene Wasserleitungen, heftige Regenfaelle und kaltes Wetter haben ihrerseits zusaetzlich fuer tiefe Schlagloecher und Graeben gesorgt. Die Landschaft geht von erst sanften gruenen Flaechen in rostrote Felshaenge ueber, ein besseres Jeti Oguez, dann fuehrt die Strasse stetig aufwaerts. Schliesslich kommen wir zur Abbaustelle, an der die vielen LKW ihre Kohle fassen. Die umliegenden Haenge wurden ueberall auf der Suche nach Kohle angestochen, deshalb ist das Tal da wie zerstoert, ja geradezu verwuestet. Sehr ergiebig scheint diese Gegend nicht zu sein. Auf verschiedenen Hoehen liegt in Gruben verrostetes, aufgegebenes Material neben Wassertuempeln und schwarz verstaubten Stellen.
Die Strasse wird anschliessend noch schmaeler und fuehrt in Windungen auf 3'368 m, wo wir wieder einmal in blumiger Alpenflora und Edelweiss zu Hauf stehen, um danach eher sanft durch gruene Weiden Richtung Song Kul See abzufallen. An den noch hoeher gelegenen Haengen kleben wie schwarz und weisse Punkte Schafe und Ziegen. Die Yurten ihrer Besitzer hingegen stehen wie Pilze immer an kleinen Bachlaeufen, umgeben von Rindvieh und Pferdeherden mit vielen Jungtieren.

Und dann praesentiert sich unser das Etappenziel, der Song Kul See, von seiner schoensten Seite. Obwohl von Bildern her vororientiert, sind wir ueberwaeltigt vom Anblick dieses 60 x 30 km grossen Bergsee auf 3'016 m Meereshoehe, ringsum eingefasst von Bergketten mit bis zu 4'000 m hohen, noch schneebedeckten Gipfeln und seinen gruenen Ufern und Weiden, welche nur spaerlich von Yurten und Vieh besiedelt sind. Helvetas unterstuetzt in Kirgistan ein Projekt, genannt Sheperd's Life, mit dem sie Touristen in solche Gegenden bringen, bei diesen Nomaden logieren und deren Lebenstil kennen lernen lassen wollen. Wir muessen diese Hirten leider in dieser Beziehung enttaeuschen. Bei der Besichtigung unserer "Yurte" auf Raedern sind sie immer begeistert, halten den Daumen hoch als Kompliment fuer das was sie als "komfort" bezeichnen. Von der Tatsache, dass aus dem Hahn auf Anhieb klares Wasser fliesst, koennen sie sich jeweils kaum erholen.
Beim Mittagshalt abseits, noch haben wir nicht mit dem Imbiss begonnen, sitzen doch schon bald sechs Kinder, aber in gebuehrendem Abstand, ruhig im Gras. Fredy opfert ihnen seine Wassermelone, die sie aeusserst hoeflich entgegennehmen und verzehren. Nur dem Juengsten ist der Schnitz nicht geheuer, aber er wird von den Maedchen vorbildlich betreut. Alle geben sich Muehe, selbst als sie unsern Camper von innen besichtigen, hoeflich und ruhig zu sein und ermahnen sich gegenseitig immer wieder zur Vorsicht. Mit dem Feldstecher sehen sie sich dann reihum mit grossem Vergnuegen die Gegend und vor allem ihre eigenen Yurten in einiger Entfernung an.

Obwohl wir keine exakten Karten haben, soll sich der See umfahren lassen. Wir durchqueren zu diesem Zweck das jetzt trockene steinige Flussbett des oestlichen Zuflusses Kara Kuyu. Am nordwestlichen Seeende ist der Uferstreifen minim breit und die Dreckstrasse fuehrt über die anstossenden Huegelzuege, in der Trockenzeit mit jedem Fahrzeug zu meistern. Fuer einen Ruhetag waehlen wir einen super Standplatz auf 3'063 m.Wenn wir aus dem Camper treten, glauben wir uns in einer kitschigen Filmkulisse zu befinden. Da steht unser Camping-Tisch mit Stuehlen in der Sonne zwischen Steinen und Blumenflecken. Blau liegt der See zu unseren Fuessen. Wir stehen fast hilflos mit Film- und Fotoapparat vor diesem wahnsinnig tollen Panorama - besonders gegen Abend, wenn im warmen Sonnenlicht die Wolkenschatten die Landschaft noch zusaetzlich praegen - und koennen die wahren Dimensionen und die ganze Herrlichkeit damit gar nicht einfangen. Mit der Dunkelheit hoert der leichte Wind auf - das Sternenmeer am klaren Himmel ist unbeschreiblich. Es ist, als wir noch vor Mitternacht zu Bett gehen, nach einer Tagestemperatur von 26o C nur noch 8o C warm.
Wir erwachen am folgende Tag, dem 8. Juli, vom "Poeperlen" auf dem Dach - es regnet. Von der gestrigen Idylle des Song Kul Sees ist dementsprechend nichts mehr zu sehen. Rundum sind die Berge mit grauen Wolken verhangen. So muss es uns denn auch nicht reuen, weiterzufahren - aber nicht bevor wir nicht noch einen von Fredy hoch und heilig versprochenen Besuch gemacht haben.
Julduzbek (21) und seine Frau Nargiza (17) erwarten uns schon. Wir werden in die Yurte, die typische Nomadenbehausung waehrend der Sommerweide (="jailoos") gebeten und koennen sie uns in natura eingehend ansehen. Der Eingang besteht entweder aus niedrigen Holztueren oder aufzurollenden Schichten von groben Grasmatten und Filztuechern und ist in der Regel nach Osten gerichtet. Die runde Form erhaelt die Yurte von einer Art zusammenfaltbarem Scheren-Gitter, das flexibel mit Lederstreifen oder Sehnen zusammengeknuepft ist. Dafuer wie auch fuer die an die 40 Rundbogen der Kuppel wird rot gestrichenes Weiden- oder Birkenholz verwendet. Die zum Teil bunten Matten aus grobem schilfartigem Federgras (chiy) darum herum dienen als Windschutz. Bedeckt ist das ganze Geruest mit mehreren Schichten Filzmatten aus Schafswolle. Die einzelnen Stuecke werden ueber die Holzgitter gespannt und mit bunten Baendern befestigt. Die innerste Schicht ist je nach Geschmack und Vermoegen der Bewohner farbig verziert, die aeusserste dank dem Bestreichen mit Schafsfett wasserdicht. Vom Kuppelstueck ("tuenduk" genannt und auf der kirgisischen Nationalflagge abgebildet) kann man die Filzlagen zurueckschlagen, um Hitze oder den Rauch vom Feuern und Kochen abziehen zu lassen.
Die Innenaufteilung ist traditionell. Besucher erhalten die Ehrenplaetze gegenueber und damit am weitesten entfernt vom Eingang. Die rechte hintere Seite ist der Hauptschlafraum. Rechts vom Eingang ist der Kuechenbereich der Frau, waehrend Sattelzeug und Ausruestung der Maenner links davon aufbewahrt werden. Das Bettzeug wird rundum am Holzgitter entlang zusammengefaltet und dient gleichzeitig als Rueckenpolster. Der Boden ist gegen die Feuchte mit dickem, steifem Filz bedeckt. Darauf werden dann zur Wohnlichkeit die farbenfrohen "shyrdacks" (zwei verschiedenenfarbige dünne Matten werden aufeinander gelegt, durch beide Lagen hindurch die Muster geschnitten und die Teile dann wie ein Puzzle auf einer einfarbigen Unterlagen vernaeht, so dass immer zwei gegengleiche Teppiche entstehen) und "ala-kiyiz" (verschieden eingefaebte Wolle wird in eine lockere Filzlage eingelegt, diese in eine Federgras-Matten eingerollt und gewalkt, bis die Fasern sich zu einem dichten Teppich mit etwas verschwommenen Muster verfilzt haben) oder Felle verteilt. Natuerlich ist Schuhe ausziehen obligatorisch. Im Schneidersitz oder mit je nach Gelenkigkeit untergefalteten Beinen sitzt man auf gepolsterten Patchwork-Matten, waehrend die Speisen auf einem niedrigen runden Tisch in der Mitte serviert werden.
Nargiza hat frisches braunes Rundbrot gebacken, das zum Zeichen der grosszuegigen Gastfreundschaft komplett in Stuecke zerpflueckt wird. Kleine Schalen mit steifem Rahm, selbstgefertigter Butter und einer braunen, leicht klebrigen Masse, die wie "Nidelzeltli" schmeckt, in die man das Brot tunkt, werden uns aufgetischt. Dazu trinkt man natuerlich Chai. Vielfach wird der Tee nature genossen, hier erhalten wir ihn mit etwas gewaermter Kuhmilch und sogar Zucker offeriert.Die Tochter Kundus hat waehrend unseres Besuches nichts zu suchen in der Yurte, sondern muss ihm oft angetroffenen separaten Kuechenzelt die Erwaermung der Milch fuer die Joghurt- oder Kaese-Herstellung ueberwachen und im kleinen Kanonenofen immer wieder getrocknete Kuhfladen als Heizmaterial nachschieben. Mit unseren nicht existenten kyrgisischen und russischen und den wenigen englischen Sprachbrocken der Gastgeberin, vor allem aber mit Gesten und notfalls Zeichnungen koennen wir uns einigermassen verstaendigen und natuerlich anschliessend herzlich fuer die in diesem Land sehr gross geschriebene Gastfreundschaft bedanken und die Worte mit unserer letzten Tafel Original Schweizer-Schokolade versuessen.

Seeumfahrung im Nieselregen - beim steten auf und nieder ueber die Huegel im noerdlichen Teil schlittert der Camper mehr als einmal auf den Erdspuren, so dass man mit Vorteil daneben durchs Gras faehrt. Uns kommt sogar ein "Linienbus" entgegen wie auch eine Gruppe franzoesischer Touristen zu Pferd. Bei einem Feuchtgelaende nach etwa einer halben Stunde Fahrt werden wir dann von einem Einheimischen wegen des Sumpfes bei einer Flussmuendung landeinwaerts und somit weiter in die Huegel gewiesen. Die Sicht wird immer schlechter, je hoeher wir steigen. Wir realisieren, dass wir uns vom See entfernen, koennen aber im Nebel (Gott sei gedankt dafuer, so kann ich die abschuessigen Stuecke nur mehr fuehlen und muss sie mir nicht noch anschauen) auf ueber 3'200 m keine andere "Strasse" mehr ausmachen. Gemaess GPS fahren wir mangels anderer Route halt erst nord- und schliesslich westwaerts. Irgendwann nach insgesamt bald 50 km landen wir unweit Kyzyl-Emgek auf der Naturstrasse zum Kyzart-Pass von 2'664 m, zwischendurch mit Passieren einer proforma Quarantaene-Zone mit feuchtem Saegemehl unter Polizei-Aufsicht. Auch die Teerstrasse von Bishkek her in den Sueden, in die wir vor Kochkor einmuenden, ist weiter rumpelig. Wir passieren Sary-Bulak, wo wir nochmals an den Song Kul See abzweigen koennten, verzichten aber trotz inzwischen wieder sonnigem Wetter darauf. Nach dem Erreichen des Dolon Passes von 3'038 m gelangen wir in ein schmales Flusstal. Vor Kara Unkuer biegen wir rechterhand wie zum Karatal National Park ab, um auf dem angrenzenden Hochplateau zu uebernachten.
Wir stehen noch nicht lange - ich bin beim Kochen, Fredy beim Beinevertreten - taucht ein resoluter Kirgise auf, der nichts von Distanz haelt und gerade den Camper betritt. Dabei schwatzt er unablaessig, obwohl ich von seinem Geschwafel nur verstehe, dass dieses Gelaende ihm gehoere. Schliesslich verzieht er sich, taucht aber mit Fredy's Rueckkehr wieder auf, palavert nun mit ihm, bringt uns eine Flasche des Nationalgetraenks Kumys mit (dem wir bis anhin ausweichen konnten), verlangt Becher und stoesst mit dem widerlichen Gesueff aus Stutenmilch (geraeucht und mit Urin fermentiert) mit uns an. Zum Glueck gibt es Stellen im Mund ohne oder zumindest mit weniger empfindlichen Geschmacksnerven, und schliesslich kann man ja mehrmals schlucken, um das Zeugs runterzubringen und unten zu behalten.
Wir ueberlegen uns, nach dem Znacht den Standplatz zu wechseln und weiter huegelan zu fahren, wohin unser neuer Freund es mit seinem alten klapprigen Wolga nicht schaffen wuerde, tun es aber nicht. Also selbst schuld, dass er nach 19.ooh wieder auftaucht und uns solange beschwatzt, bis wir nicht mehr anders koennen, als seiner Einladung zu seinem "dom" zu folgen. Wir nehmen an, er wolle uns vorausfahren - aber weit gefehlt. Sein Vehikel, Steine anstelle von Bremsen entfernt, ueber den Abhang hinweg angerollt anstatt gestartet, chauffiert er zur nahen Hirtenunterkunft und schliesst es umstaendlich und schliesslich erfolgreich nach unzaehligem Tueren und Kofferdeckel zuschlagen ab. Dann steigt er bei uns zu und gibt die Fahrrichtung vor. Erst geht es suedwaerts Naryn zu, dann westlich ab dieser Strasse, bis wir schliesslich gelangen wir nach 25 km Fahrt auf einem grauenhaften Teerstrassen-Stueck schon fast im Dunkeln in Jerge Tal bei seinem Haus landen.Wir muessen unbedingt zwischen Haus und Schopf auf sein Areal reinfahren, obwohl die Angehoerigen das verrostete Tor nur mit aller Muehe oeffnen koennen. Dann werden wir ins Haus gebeten. Alle weiblichen Personen, d.h. seine Frau, die juengste Tochter Zindat, die ihm seine Fragen auf Englisch und unsere Antworten in kirgisisch uebersetzen muss, die aelteste Tochter sowie Schwiegertochter mit ihren diversen kleinen Kindern haben anzutanzen und uns zu unterhalten.
Unser Gastgeber scheint ein richtiger kleiner Familien-Tyrann zu sein - das deutet uns sogar spaeter seine Ehefrau an. Die Familie hat offensichtlich schon gegesssen, aber fuer uns Gaeste und den Vater muss die aelteste Tochter wieder in die Kueche. Wir sitzen auf Matten und Schaffellen um einen niedrigen Tisch herum (darunter liegen noch Knochen frueherer Mahlzeiten). Zum Apéro erscheint vor uns ohne Vorwarnung eine Riesenkachel Kumys, die wir "erfreut" und moeglichst ohne unsere Gesichter zu verziehen heldenhaft leeren. Dann trinken wir einmal mehr Tee, erhalten dazu Butter, Rahm und eine Art Truebli-/ Himbeer-Sauce aufgestellt. Als der Gastgeber immer oefters gaehnt, fassen wir das erleichtert als Zeichen zum Gutnacht-Sagen auf, werden aber informiert, dass das Nachtessen (das 2. fuer uns) gleich folge. Was bleibt uns anderes uebrig, als uns wieder zu setzen und den Teller voll aufgetischter gebratener Kartoffeln auch noch zu verzehren. Als Gegenleistung duerfen wir Asan und seine Familie fotografieren, bevor wir uns fuer diesen Tag verabschieden koennen.

Die Zimmer, in die wir blicken koennen, sowie die Kueche sind nur minimal moebliert. Das Leben spielt sich hierzulande auf Bodenebene ab. Im Essraum stehen zwar einige wenige Kuechenkaestli, aber jedes Tuerchen haengt in einer anderen Richtung schief. Wie so vieles im Haus verlottert ist, sowenig brennt auch die Aussenbeleuchtung. Ich will mich an der Hauswand abstuetzen, doch die Eingangstreppe ist nicht so breit, so dass ich vom Licht ins Dunkel tretend vom meterhohen Podest runterstuerze. Zum Glueck hatte ich den Fotoapparat um den Hals gehaengt, so dass er nur die Wand streift. Mein linker Fuss hingegen muss halb verdreht mein ganzes Gewicht auffangen und schmerzt bedenklich. Ich werde mit tausend Entschuldigungen wieder auf die Fuesse gestellt und kann zum Camper humpeln.
Fuer heute zumindest ist mein Bedarf an Gastfreundschaft gedeckt. Der Tag war lang, und wir sind beide ehr' und redlich muede. Zu unserer grossen Freude entdecken wir auf unserem Satelliten-Telefon zwei SMS von Mr. Ji Wensheng mit der beglueckenden Mitteilung, dass es am 14.7. mit der Einreise nach China klappen soll und wir ihm nur noch den definitiven Einreisetermin bestaetigen sollen.
Nachdem wir am naechsten Tag Asan zu seinem Wolga zurueckchauffiert und ihn von der Idee abgebracht haben, noch zwei Tage dort mit der Familie (die mit Sack und Pack und zusammengelegter Yurte auf Traktor und Anhaenger ebenfalls auf demWeg dahin war) zu verbringen, ist es nur gut 50 km bis nach Naryn. Am Freitag, 9. Juli, erreichen wir den Regionalhauptort mit seinen 45'000 Einwohnern, aber es gelingt uns nicht, da eine Werkstatt fuer die noetige Verstaerkung der Tueraufhaengung, ein Geschaeft mit Schrauben fuer den Vorrat oder gar Ersatz-Dichtungen fuer den Gastank zu finden. Mit Frischwaren decken wir uns auf dem Markt ein.

Schon immer spuckten Fredy die kirgisischen Reiterspiele im Kopf herum, und nun bietet sich uns laut Auskunft der Tourist Information die grossartige Gelegenheit, im 220 km entfernten Kazarman ein Festival mitzuerleben. Erst dem Fluss Naryn entlang auf einigermassen guter Teerstrasse bis Ak-Tal, dann ennet des Wasser ueber Naturstrasse mit all ihren behindernden Eigenheiten streben wir diesem Ziel zu, das uns gerne 5-6 Std. Fahrzeit wert ist. Nach Koech Jar geht es aufwaerts auf einmal mehr ueber 2'800 m Hoehe. Von da aus hat man Geographie-Unterricht. Die ganze Umgebung liegt wie auf einem Praesentier-Teller: die nahen Huegel in verschiedensten Formen und Farben je nach Erde und Bewuchs, in einiger Distanz Bach- und Flusslaeufe und in deren Naehe kleine Ortschaften mit ihren gruenen Feldern, in weiterer Ferne die immer sichtbaren Berge. Nach Karu-Suu kommt dann die Fahrt kurzfristig zu einem unfreiwilligen Halt. Ein Bulldozer versucht, einen auf die Strasse gerollten riesigen Felsbrocken den Abhang hinunterzustossen, aber der Motor stirbt mangels Diesel ab. Bis dann das Vehikel mit drei Petflaschen voll Treibstoff aufgetankt und unter Anwendung der zahlreicher Tricks wieder zum Laufen gebracht wird, vergeht eine gute halbe Stunde. Da die Strasse parallet zum schwindenden Tageslicht immer schlechter wird, uebernachten wir in gruener Wiese oberhalb Doedoemoel.
Es ist am folgenden Morgen nur noch ein Katzensprung nach Kazarman mit seinen etwa 15'000 Einwohnern. Das Dorf streckt sich der Strasse entlang, bietet nichts Aufregendes. Und vor allem ist niemand aufgeregt und keine Spur von Nervositaet oder regem Betrieb, Besucher, Pferde und Reiter unterwegs. Wir durchfahren den Ort zweimal, fragen dann ein erstes Mal nach, ernten aber nur ein Achselzucken. Schliesslich finden wir einen Informierten, und der faehrt uns zum lokalen Kulturzentrum sogar voraus. Ja - hier sind wir richtig fuer das Festival und sofort werden wir herzlich dazu eingeladen. Ein Fuehrer bringt uns um 9.ooh zum Austragungsort, nur ist dieser nicht das Ziel unserer Wuensche. Vielmehr handelt es sich um die Feier anlaesslich des neu zu eroeffnenden CBT-Buero von Kazarman. Die CBT = Community Based Tourism ist ein Selbsthilfe-Projekt gefoerdert von Helvetas Schweiz hier in Kirgistan! Aufhaenger respektive Mittellpunkt des Anlasses sind aber nicht Reiterspiele sondern die in den nahen Bergen entdeckten, ueber 2'000 Jahre alten Petroglyphen von Samayluu Tash. Da stehen wir nun und glauben uns im falschen Film!
Also machen wir das Beste aus der Situation, lassen uns nichts anmerken und trotten mit den Leuten mit, die ueber den unerwarteten Besuch aus der Schweiz hoch erfreut sind. Wir sind nicht die einzigen Touristen. Die Gruppe Mitarbeiter der Helvetas mit einem Schweden im Schlepptau, die wir gestern unterwegs schon mal getroffen hatten, ist ebenfalls eingetroffen. Der oertliche Chef des Kulturzentrums, mit al-Kalpak Hut wie es sich gehoert (je aelter der Traeger, des hoeher ist dieser bestickte spitze Filzhut) schneidet feierlich das rote Band vor der Tuer des neuen Bueros entzwei. Die neu gestrichenen und einfachst eingerichteten Raeume werden von allen geladenen Gaesten gebuehrend bestaunt. Fredy begeistert sich fuer einen runden Syrdak und so macht das neue Center mit dem 600.- Som-Verkauf das erste Geschaeft. Es folgen offizielle Reden. Oertliche erhalten Zertifikate und Plaketten fuer ihr Haus. Mit deren Anbringung verpflichten sie sich, Reisende aufzunehmen und zu fixen Preisen zu beherbergen. Wer ein rotes Autosignet erhaelt, wird die Touristen zu vereinbarten festen Preisen zur neuen historischen Attraktion, den in etwa 45 Min. in den Bergen per 4x4 zu erreichenden Samayluu Tash Petroglyphen, fahren.
Dann folgt der gemuetliche Teil. Erst ein Apéro - man bedient sich mit Nescafé, Tee, Biskuits und Waffeln - bei uns waere das eigentlich der Dessert. Dann folgt eine Vorfuehrung im oertlichen Theater. Meine Sitznachbarin Suinn, Vorsteherin der hiesigen Schule, klaert uns laufend ueber die Darbietungen auf. Jugendliche des Ortes bieten eine einfache Vorstellung, bei der sie die Stellungen der mit den Petroglyphen abgebildeten Figuren einnehmen. Dann verliest der Praesident des Kulturvereins kirgisische selbst verfasste Reime und Verse auf die neue Touristenattraktion. Nacheinander treten eine Saengerin und ein Saenger in den mit den tradionellen Mustern versehenen Kleider auf und begleiten sich selbst mit der Komuz, dem dreiseitige Zupfinstrument. Die anschliessende junge Taenzerin hat, wie es sich nach alter Sitte gehoeren wuerde, ihre Haare nie geschnitten. Ihre Zoepfe reichen ihr fast bis an die Knie. Ein Videoband wird in einem Fernseher abgespielt und zeigt allen Anwesenden die Steinzeichnungen, die sehr viel ausgepraegter und vielseitiger als die von Cholpon Ata sind.
Das anschliessende Festessen wird in einer im Kulturzentrum drinnen aufgestellten grossen, reich verzierten Yurte serviert. Wir werden an den Tisch der uns bereits bekannten Reisenden und Helvetas Mitarbeitern gebeten. Die Tische sind voll beladen mit Bisquits, fritierten Broetchen und Fruechten. Chai macht die Runde und zum Schluss folgt dann das Hauptgericht - Reis mit Tomaten und dazu ein grosses Stueck Hammelfleisch. So sitze ich denn da vor einer Rippe - von Fleisch praktisch keine Spur, aber dafuer dicke Fettschichten, die hier als Koestlichkeit gelten. Die Consultants greifen wacker zu, Wodka und Brandy wird gebracht, damit man das Festessen herunterspuelen kann.
Die Getraenke befluegeln dann auch fuer den anschliessenden Wettbewerbs, bei dem man tischweise einen Slogan fuer Saymaluu Tash kreieren und aufgrund einer Abbildung der Petroglyphen eine bildliche Umschreibung finden muss. Der Schwede bei uns startet das "brain storming" wie er es nennt. Turban, der einheimische Helvetas-Mitarbeiter uebersetzt auf kirgisisch und holt unserem Tisch den ersten Preis - eine musikalische Darbietung. Jeder Tisch muss dann selbst noch einen Freiwilligen suchen, der etwas zum Besten gibt - zum Glueck fallen Fredy und ich aus dem Rennen.
Nach dem Essen werden zum Tischgebet die Haende wie Schalen vor sich gehalten und nach kurzem Schweigen ueber das Gesicht nach unten vor die Brust gestrichen. Wie es hier Sitte ist, werden Plastiksaecke an die Gaeste verteilt, und jeder packt sich ein vom Tisch, was er moechte oder noch auf dem Teller hat, vor allem wenn es sich um das hier teure Fleisch handelt. Mittlerweile ist es 13.ooh geworden - die Festivitaeten enden allgemein und wir koennen uns verabschieden, unzahlige Haende schuetteln, und letzte Abschiedsfotos machen.

Wir entschliessenden uns fuer den gut 90 km laengeren Rueckweg nach Naryn, um nicht nochmals die gleiche Strecke fahren zu muessen. Erst sind wir im Zweifel, ob wir die richtige Strasse erwischt haben - obwohl nur diese zuerst geteert ist. Sie dient als Zufahrt zu einer ca. eine Fahrstunde entfernten Mine, wo Golderz abgebaut und zur Bearbeit nach Kazarman gekarrt wird. Dementsprechend ist die bald auf Kiesbelag uebergehende Strecke in aeusserst schlechtem Zustand, voller langer Bodenwellen und riesiger Loecher. Da war ich gestern eine Anfaengerin verglichen damit, wie Fredy heute mehrmals den Camper ueber die Strassenunebenheiten fliegen laesst! Auch heute Samstag fahren die Laster wie im Akkord und kreuzen uns im Hoellentempo mit riesen Staubwolken und wir sind jedesmal froh, dass unsere Frontscheibe keinen Steinschlag von ihrer losen Ladung erhaelt. Wir folgen den raren Distanzbalken mit den Kilometerangaben, um schliesslich mitten im Tagbau zu landen. Wir muessen ein Stueck zurueckkrebsen - der Wachmann hatte vermutlich gepennt und uns aus Versehen passieren lassen - und auf einer kleineren Strasse nun den Weg ueber den 2932 m hohen Akkyya Pass fortsetzen.

Einmal mehr umfahren wir einen Nippel der Erdachse - einige wenige halbverrostete Blechanhaenger mit Nomaden und ihrem Vieh, verlassene Huetten, stehen ab und zu am Weg. Die Huegel vor der Passhoehe sind aus roetlichem Material, ennet dem Uebergang kommen wir in begruente, aber mit vielen fleischigen Pflanzen wie Plagge bewachsenen Gegend. Auf 2'477 m Hoehe stoppen wir bei einem einsamen Bach direkt am steinigen Ufer, eine ideal Stelle, um unseren Waeschesack noch vor dem China-Uebertritt zu leeren. Wir haben trotz der Hoehe angenehme 26o C Temperatur.
Kosh Doeboe und Kongorchok liegen auf unserer Route durch eine warme, eher duerre Gegend mit bizarren baren Felsen. In der Kuerze liegt die Wuerze, das merken wir, als wir uns fuer Ueguet entscheiden. Erst muessen wir abwechslungsweise steiniges oder lehmiges Flussbett und Furts durchqueren, dann uns ueber trockene, vom Regen von den nahen Abhaengen heruntergespuelte Lehmschichten quaelen, einen kirgisischen alten Traktor durch Anschleppen entpannen, um endlich ueber relativ gute Kiesstrasse dem Alabaga entlang wieder fluessig voranzukommen. Rascher als erwartet hat uns das sonntaegliche Naryn wieder. Nachtessen im Restaurant ist hier gar nicht so einfach. Mit Glueck finden wir am Sonntag-Abend ueberhaupt ein sauberes und erst noch geoeffnetes Kafe, wo wir uns das Nudelgericht Lagman bestellen koennen.
Und dann erhalten wir am spaeten Nachmittag vom Montag, 12. Juli 2004 endlich die lang ersehnte Nachricht: Alle Bewilligungen fuer die China-Einreise liegen vor! Also flugs Dollars zum letzten Geldwechseln gezueckt, um dann ueberall bei den offiziellen Wechselstuben und sogar auf den Agenturen der nationalen Bank die unglaubliche Antwort zu hoeren: "keine Soms" - gleichbedeutend fuer uns mit kein Dieseltanken moeglich. Wir kommen ins schwitzen und rotieren, finden dann auf dem Bazar einen Teppichhaendler, der ueber genuegend Cash verfuegt und unser Problem somit loest.
Am selben Abend rumpeln wir suedwaerts und passieren At-Bashy. Auf der Strasse begegnen wir fast nur schwerstbeladenen Lastern, die Fahrzeuge ebenso schrottreif wie ihre Alteisen-Fuhren zu den chinesischen Stahlwerken. Die Landschaft ist trocken, fast steppenartig, die Naturstrasse katastrophal ausgefahren. Beim Ueberholen oder Kreuzen merkt man sich am Besten bevor man in die riesige Staub- und Russwolke eintaucht, wo die schlimmsten Schlagloecher vor einem sind. Die Seitenborde und vielfach auch die Piste selbst sind zudem uebersaet mit verlorenen, scharfkantigen Metallstuecken, ueber deren Lage man sich vorzugsweise im Klaren ist, bevor man dadurch Schaden erleidet.

Wir uebernachten im vielgelobten und wirklich erholsam gruenen Seiten-Hochtal in einiger Entfernung der Yurten der Nomaden bei der Karawanserei aus dem 15. Jht. von Tash Rabat auf bereits 3'500 m Meerehoehe und koennen uns am Morgen Zeit lassen fuer ein gemuetliches, spaetes Fruehstueck.
Sollpunkt des Tages ist nach dem Passieren von Ak Beyit das Erreichen des sogenannten Outer Borderpost von Kirgistan vor 17.00h , wo wir einem jungen Soldaten, der gerne Zigaretten oder Zeitungen gehabt haette, erstmals die Paesse zeigen muessen. Danch haben wir Zeit, kurz einen Halt in der baren Landschaft zu machen und beim Kaffeetrinken die grossen, feissen Murmeltiere bei den nahen Baus zu beobachten.
Nach dem 3'574 m hohen Tuez Bel Pass ist ab Erreichen des Chaty Koel Sees der erst einfache, dann doppelte Stacheldraht-Hag, der zu russischen Zeiten noch am Strom angehaengt war, nicht zu uebersehen und Ankuendigung der Grenzzone. Kurz nach 18.30h erreichen wir die Inner Border auf schon 3'600 m Hoehe, wo die vielen trostlosen Blech-Caravans fuer die Passanten zum Uebernachten stehen. Sind wir froh, haben wir unser Hotel und Dusche dabei und sind nicht auf diese schmudligen Logis mit Null sanitaeren Einrichtungen und entsprechend appetitlichen Kuechen resp. Verpflegung angewiesen.
Nun harren wir dem morgigen grossen Tag und der Dinge, die da am Mittwoch, 14. Juli 2004, auf uns zukommen werden. Die Abfertigungs-Modalitaeten der Kirgisen sollen unberechenbar, die restlichen 6 km Strasse zur chinesischen Grenze hinauf auf den 3'754 m hohen Torugart-Pass schrecklich und die Oeffnungszeiten und Launen der chinesischen Grenzer Gluecksache sein?

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